ESB kritisiert neue Wohnrichtlinie der Stadt Bottrop

Mit Sorge betrachtet die Evangelische Sozialberatung Bottrop (ESB) die
neue kommunale Richtlinie, welche die Wohnkosten für BezieherInnen von
Hartz IV und Sozialhilfe regelt. Hartz IV hat zwei Bestandteile: den Regelsatz und die Wohnkosten. Der Bund bezahlt den Regelsatz in Höhe von 364 Euro. Die Stadt Bottrop kommt für die Wohnkosten auf. Sie legt fest, welche Wohnfläche LeistungsbezieherInnen zusteht, welcher Mietpreis und welche Betriebskosten „angemessen“ sind. Zum 1. April 2011 hat die Stadt Bottrop diese Grenze herunter gesetzt.

Die Grenze der „angemessenen“ Betriebskosten liegt nun bei 1,33 Euro pro
Quadratmeter, zuvor betrug sie 1,70 Euro. Doch dieser Betrag umfasst nur
einen Teil der üblicherweise in den Betriebskosten enthaltenen Posten –
etwa Müllabfuhr und Wasser. Kostenanteile für Hauswart, Gartenpflege und
Gebäudereinigung bleiben ausgeklammert, obwohl LeistungsbezieherInnen
keinen Einfluss auf die Höhe haben. Liegen die Betriebskosten über 1,33
Euro, müssen Jobcenter und Sozialamt individuell prüfen, welche Posten
tatsächlich anfallen – und diese Kosten übernehmen. „In der Praxis findet diese Prüfung aber nicht statt“, kritisiert Sozialarbeiter Wolfgang Kutta von der ESB. „Das ist rechtswidrig.“ Betriebskosten über 1,33 Euro pro Quadratmeter müssen die Betroffenen selbst aus ihrem viel zu niedrigen Regelsatz bestreiten. „Viele Menschen verschulden sich. Ihre Wohnsituation wird unsicher. Schulden sind einer der häufigsten Gründe für Wohnungslosigkeit “, so Sozialarbeiterin
Claudia Kretschmer. „Hier wird versucht auf Kosten der Ärmsten zu sparen“, meint Wolfgang Kutta. „Aber sicherer Wohnraum ist eine Existenzgrundlage.“

Diplom-Sozialarbeiter Wolfgang Kutta im Beratungsgespräch
Diplom-Sozialarbeiter Wolfgang Kutta im Beratungsgespräch

Beispiele:

Nina Meyer*: Schulden, weil das Jobcenter die Mietkaution nicht
übernehmen will

Nina Meyer ist alleinerziehende Mutter einer zwölfjährigen Tochter und
bezieht Hartz IV. Als ihr der Vermieter überraschend wegen Eigenbedarf
zum 30. Juli 2011 kündigt, muss sie eine neue Wohnung zu suchen. „Die
Wohnung sollte in der Nähe des Gymnasiums meiner Tochter sein, damit sie
die Schule nicht wechseln muss“, berichtet die Mutter. „Zum Glück habe
ich eine gefunden, allerdings schon zum 1. Juni.“ Die 34-Jährige wendet
sich an das Jobcenter, um die „Angemessenheit“ der neuen Wohnung
überprüfen zu lassen. Dort erklärt ihr der Sachbearbeiter, dass die
Kaltmiete der Wohnung den Richtwert, der seit April 2011 als
„angemessen“ gilt, um 19 Euro übersteigt. Deshalb genehmigt ihr das
Jobcenter den Umzug nicht. Der Sachbearbeiter schlägt ihr vor, die
Differenz aus ihrem Regelsatz von 364 Euro selbst zu zahlen. Aufgrund
der fehlenden Umzugsgenehmigung erhält sie keine finanzielle
Unterstützung vom Jobcenter für die anfallende Mietkaution in Höhe von
400 Euro und die zwei doppelten Monatsmieten. „Ich habe dem
Jobcenter-Mitarbeiter erklärt, dass ich nicht freiwillig umziehe und
meine Tochter auf eine Wohnung in Schulnähe angewiesen ist“, so Nina
Meyer. Doch das ändert nichts an der Entscheidung des Jobcenters. „Ich
hatte Angst, ohne Wohnung da zu stehen“. Sie entscheidet sich, die
Wohnung anzumieten. „Jetzt muss ich mir bei Freunden und Familie Geld
leihen, damit ich den Umzug überhaupt bezahlen kann.“

Rosemarie Lehmann*: Keine Umzugsgenehmigung vom Sozialamt

Rosemarie Lehmann ist schwer krank. Ihre Erwerbsminderungsrente ist so
niedrig, dass sie zusätzlich Sozialhilfe bezieht und das Sozialamt ihre
Wohnkosten übernimmt. Nach einem Eigentümerwechsel wollte der neue
Vermieter sie loswerden, erhöhte erst drastisch die Miete und kündigte
schließlich auf Eigenbedarf. Sie muss eine neue Wohnung suchen. Das
Sozialamt nennt ihr Ende März 2011 die Kriterien für eine „angemessene“
Wohnung. „Mitte April habe ich beim Sozialamt ein Mietangebot passend
zum 1. Juni 2011 vorgelegt“, so die 58-Jährige. „Alles prima, dachte
ich.“ Doch dann erfährt sie, dass sich die Regeln zum 1. April 2011
geändert haben. Die Wohnung ist nun wegen der zu hohen Kaltmiete nicht
mehr „angemessen“. Sie setzt die Wohnungssuche fort. Eine
Wohnungsgesellschaft bietet ihr eine neue Wohnung an. Die Kaltmiete
entspricht mit 230 Euro den neuen Kriterien. Allerdings seien die
Betriebskosten mit 79 Euro für die 41-Quadratmeter-Wohnung zu hoch,
befindet das Sozialamt. Es genehmigt ihr den Umzug nicht. Fast ein
Drittel der Betriebskosten – 24 Euro – soll  sie selbst übernehmen. Die
Höhe der Betriebskosten wird nicht individuell geprüft, obwohl dies
vorgeschrieben ist. Auch die Kaution in Höhe von zwei Kaltmieten soll
sie selbst zahlen – mehr als Doppelte dessen, was sie im Monat für ihren
Lebensunterhalt zur Verfügung hat. Das Sozialamt übernimmt die Kaution
nur, wenn Miete und Betriebskosten unter der „angemessenen“ Grenze
liegen. „Ob ich rechtzeitig eine angemessene Wohnung finde, weiß ich
nicht. Ich habe große Angst, bald auf der Straße zu stehen.“

* Name und Alter geändert